Rezension – Befreite Freiheit

Klaus Kayser Lehmanns Media Verlag Berlin, 2020. ISBN 978-3-96543-175-1

von Helmut Glatz

„Befreite Freiheit“ – die Freiheit befreien? Ist das nicht ein Widerspruch in sich, eine Tautologie?

Im Klappentext erfahren wir die Antwort: „Freiheit ist der Bruder der Wahrheit und die Wahrheit ist die Schwester der Freiheit…Freiheit und Wahrheit sind nicht frei. Sie sind gebunden an Regeln, an Glauben und Verstehen, an Gefühl und Erfahrung, an Gestern und Heute…Gedichte sind Vermittler der beiden Geschwister in Licht und Beleuchtung, in Bild, Text und Ton aus Vergangenheit für die Zukunft.“ 

Mit diesen Worten sind die 121 Gedichte eingefangen wie mit einem Lasso. Das Buch erinnert ein wenig an die im Jahr 1964 herausgegebene Gedichtsammlung von Hans Bender „Mein Gedicht ist mein Messer“. Damals vielbeachtet, voller gesellschaftskritischer, aufrüttelnder, scharfzüngiger Texte.    

So auch das Buch von Klaus Kayser. Gedichte lyrisch, philosophisch, nachdenklich, aufmunternd, satirisch, kritisch – vor allem kritisch!  

Die Gedichte sind eingeteilt in dreizehn Kapitel: Geburt/ die Erwartung/ die Umgebung/ der Glaube/ der Verstand/ die Freude/ das Erleben/ die Zeit/ das Alter/ die Gefährdung/ die Flüchtenden/ die Knechtschaft/ die Befreiung.

Kayser ist ein pointierter Beobachter und Kritiker des Zeitgeistes. Hierzu einige Beispiele: 

Zur Friday- for- future- Bewegung: „Freut euch des Lebens/ Das Leben wütet heiß/ Nur wisst, es ist vergebens/ Euer Demoschweiß.“

Zur Rassendiskriminierung: „Hört, Ihr, hört/ Ich bin ein Zigeuner/ Bin einer von Euch!“

Zum Drohneneinsatz/ Drohnenkrieg: „Mord, Täubchen mord/ Sie laufen gar nicht fort,/ der Greis, die Frau und auch das Kind/ Schnell in der Toten Himmel sind…“

Zur Corona- Pandemie: „Hört, ihr Leute, lass uns klagen/ Heute wird das Virus sagen/ Dass unsre Fun und Freudenwelt/ im Innersten zusammenfällt.“ 

Zum Drama der Bootsflüchtlinge: „Zertrümmert das Boot/ Versinkt im Meer./ Bin, Mutter, in Not!/ Kind, bist du schwer!/ Wer schwimmt in dem Meer/ Nach Sturm und Wind?/ Tot ist die Mutter/ Mit ihrem Kind.“   

Zum Hunger in der Welt: „Die Beinchen sind dünn. /Leer schrumpft uns der Bauch./ Wir fallen jetzt hin./ Stehen nie wieder auf.“ 

usf.

Klaus Kayser erweist sich als großartiger, wortmächtiger und wortgewaltiger Autor, ein Sprachzauberer, der aufzurütteln vermag und hier ein Buch vorlegt, ganz nah am Puls der Zeit. Nicht zum Zurücklehnen, zum Genießen an gemütlichen Sonntagnachmittagen, sondern ein Buch voller Gedichte zum Nachdenken, zur kritischen Auseinandersetzung mit der Welt. Gedichte zum Aufspringen: Ja, so ist es! Lasst uns die Freiheit befreien!

Einzelne Gedichte sind mit Bildern versehen, andere mit Hilfe von QR Codes vertont oder mit musikalischen Hinweisen ergänzt, so dass fast so etwas wie ein Gesamtkunstwerk entsteht. 

Zum Schluss sei aber noch ein „unpolitisches“, heiteres Gedicht zitiert – auch solche finden sich in dem Büchlein – , das mir besonders gut gefällt, und aus dem nicht zuletzt das Alter Ego des Autors sprechen dürfte: 

„…Im Alter wirst du reif und weise.

In deiner langen Lebensreise

wirst du an Erfahrung klug.

Wie dem auch sei, meist bleibt genug

An Verstand und Geist erhalten,

Um den Käfig zu verwalten.

Über draußen steif zu lästern

Die Welt, sie war doch besser – gestern!